Rathaus

Das Anrather Rathaus wird 100 Jahre

(von Friedrich Kluth – Aus dem Heimatbuch 2006)

Es ist nicht selbstverständlich, dass der Bürgermeister einer Kommune in einem Schloss residiert! Im 19. Jahrhundert war zumindest in Anrath eher das Gegenteil der Fall. Rund ein halbes Dutzend Mal musste das Bürgermeisterbüro umziehen, meistens in angemietete Räume. Dr. Gottfried Kricker, Bibliothekarsrat an der Uni Köln, Ehrenbürger der Gemeinde Anrath und engagierter Heimatforscher, schreibt dazu in seinem 1959 erschienenen Buch “Gescichte der Gemeinde Anrath”:

“Das Bürgermeisterbüro war 1820 im Hause Lorenz Schmitz an der Viersener Straße untergebracht. Als die Schule 1822 aus ihrem an die Kirche angebauten alten Hause auszog, verlegte man den Amtsraum des Bürgermeisters dorthin. Bei dem Brand des Kirchturms im Juli 1840 wurden Dach und Schornstein des Amtshauses zerstört. Hier blieb der Sitz des Bürgermeisters bis 1872. Dann nahm man wieder Mietwohnungen hierfür in Anspruch. Hier hatte das Amt meist nur zwei Räume. Um die Mitte der achtziger Jahre war das Bürgermeister-Lokal bei Johann Michel Benth, der dafür jährlich 180 M. Miete erhielt. Seit 1888 mußte es viermal die Unterkunft wechseln, von Viersener Straße 25 (Dückers) nach Neersener Straße 20 (Wiemes), wieder in der Viersener Straße 22 (van Danwitz) und zuletzt im November 1900 in das von Christian Ingenpaß an der Ecke Viersener und Hindenburgstraße erbaute neue Haus, das für den amtlichen Zweck eingerichtet war und auch die Wohnung des Bürgermeisters enthielt.”

Parallel zu diesem erneuten Umzug liefen aber schon Überlegungen, ein neues Rathaus zu bauen. Auslöser hierfür mag die Planung des neuen Krankenhauses an der Neersener Straße gewesen sein, in dessen Folge das geräumige Grundstück an der Viersener Straße frei werden würde, auf dem sich das alte Krankenhaus befand. Ein entsprechender Gemeinderatsbeschluß wurde a, 17. Dezember 1904 gefaßt (Die Historie des Krankenhauses ist im Heimatbuch von 1982 in einem Aufsatz von Gottfried Daum ausführlich behandelt worden).

In einem Schreiben vom 10. November 1905 teilt Bürgermeister Jakob Hörster der Familie Ingenpaß die Kündigung des Mietverhältnisses zum 11. November 1906 mit. Wörtlich heißt es u.a.:

“… Diese Kündigung gilt gleichzeitig als gesetzliche Vierteljahreskündigung, da kein schriftlicher Mietvertrag besteht …”

Ganz so bürokratisch ging es also damals offenbar nicht zu!

Die öffentliche Ausschreibung der zu vergebenden Arbeiten erfolgte im Februar 1906. Mit der Planung und Bauleitung wurde der Kreisbaumeister Cleve aus Krefeld beauftragt. In den Angebotsunterlagen heißt es, bezogen auf die Erdarbeiten:

“Die Arbeiten sollen beginnen am 1. März 1906 und sind dieselben dergestalten zu betreiben, daß sämtliche Arbeiten am 8. März 1906 fix und fertig gestellt sind.” Für den Fall eventueller Verzögerungen wird eine Konventionalstrafe von 20,- Mk pro Tag angekündigt.

Die ausgeschriebenen Arbeiten umfassen u.a. ” … 750 cbm Erde zur Anlage der Baugrube und der Fundamentgräben auszuheben und auf der Straße zu verkarren …” ,,… 95lfdm Mauerwerk abzubrechen, die Steine zu reinigen und bei Seite zu stellen…”

Ein wenig glossenhaft mutet die Korrespondenz in einem Rechtsstreit (Gemeinde Anrath gegen Firma v. d. Heide) an, bei dem es um die Frage geht, ob das “verkarren” des Erdaushubs durch Gemeindearbeiter oder Arbeiter der Firma v. d. Heide vorgenommen wurde. Das Verfahren hat einen Streitwert von 40,- Mark. Die Firma v.d.Heide bekommt Recht, und der eingeschaltete Rechtsanwalt Fritz Angerhausen aus Krefeld rät der Gemeinde Anrath von einer Berufung ab.

Soweit die Unterlagen des Kreisarchivs erkennen lassen, kommt es während des Bauverlaufs ansonsten jedoch nicht zu gravierenden Zwischenfällen!

Für den 10. April 1906 wird die feierliche Grundsteinlegung vorgesehen. Bürgermeister Horster schreibt in diesem Zusammenhang an die Herren Beigeordneten und an den Kreisbaumeister Cleve:

“Es geziemt sich, daß beim Neubau hervorragender öffentlicher Gebäude, hier des Rathauses, in einer in einem Grundstein zu verschließenden Urkunde der Nachwelt hierüber berichtet wird und ist mit der Einmauerung in der Regel eine kleine Feier verbunden..” “… lade ich die Herren Beigeordneten und Gemeindeverordneten sowie den Herrn Kreisbaumeister Cleve hierdurch ergebenst ein, sich am Dienstag, den 10. April ds. Jhrs. nachmittags 5 1/2 Uhr zur feierlichen Grundsteinlegung … zu versammeln.”

Der Text der Grundsteinurkunde liegt, von Bürgermeister Horster handschriftlich verfasst, im Kreisarchiv vor und hat folgenden Inhalt:

Anrath, im Jahre des Heils eintausend neunhundert und sechs am zehnten April.

“Unter der glorreichen Regierung seiner Majestät Wilhelm’s II, Deutscher Kaiser, König von Preußen, wurde heute der Grundstein zum neuen Rathaus, verbunden mit der Dienstwohnung des Bürgermeisters für die Bürgermeisterei Anrath gelegt.
Ober-Präsident der Rheinprovinz ist seine Exzellenz N. Schorlemer-Lieser in Coblenz, Regierungspräsident Herr Schreiber in Düsseldorf.
Landrat des Landkreises Crefeld Herr Dr. Limbourg in Crefeld.
Bürgermeister der LandbürgermeistereiAnrath Jakob Horster in Anrath.

Die Gemeinde und Bürgermeisterei Anrath ist 2953 Morgen = 753,96 Hectar groß.
Die Einwohnerzahl betrug
1895: 3420 Seelen
1905: 4360 Seelen
Das Staatseinkommensteuersoll betrug 1895: 1991 M
Die Ergänzungssteuer 1895: 985 M
Das Staatseinkommensteuersoll 1905: 7897 M
Die Ergänzungssteuer 1905: 1984 M

Die Gemeinde Anrath befindet sich nach einer längeren Periode größten Notstandes seit mehreren Jahren im wirtschaftlichen Aufschwung.
Das Bürgermeisteramt befand sich bisher in Mietwohnungen, welche in den letzten 18 Jahren viermal gewechselt werden mußten und bei dem sich immer mehr steigernden Verkehr stets ungenügende Räume aufwiesen.
Diesem unwürdigen Zustand wird nunmehr durch den in Angriff genommenen Neubau ein Ende gemacht. Der Bau wurde vom Gemeinderat unterm 16. und 30. December 1904 bzw. 21. December 1905 beschlossen. Diese Beschlüsse fanden die Genehmigung des Kreisausschusses durch Verfügung vom 30. März 1905 K 1263 bzw. 30. December 1905 K l 1651.
Die Bauausführung erfolgt auf dem bisherigen Krankenhausgrundstück der Lorenz-Schmitz’schen Stiftung am Marktplatz, welches von der Gemeinde durch Eintausch gegen ein anderes, an der Neersener Straße gelegenes Grundstück, auf welchem gegenwärtig ein neuer Krankenhausbau seiner Vollendung entgegengeht, erworben worden ist. Der Bau wird im Anschluß an das alte Krankenhaus errichtet, welches vorläufig erhalten werden und gleichfalls für diesen Zweck Verwendung finden soll.
Der Kostenanschlag für den Neubau beträgt 40.000 Mark, welche Summe aus einer Anleihe bei der genannten Stiftung bestritten wird.
Der Plan wurde von dem Kreisbaumeister Herrn Cleve in Crefeld entworfen, welchem auch die Bauleitung obliegt.
Die Maurerarbeiten werden von der Firma Bomers & Niebel in Crefeld ausgeführt. Die Zimmerarbeiten von der Firma Gottfried Gielißen in Anrath und die Klinkerarbeiten von P. Risges daselbst.
Möge der Neubau gut und ohne Unfall gelingen und der Gemeinde und ihrer Einwohnerschaft für alle Zeiten zur Freude und zum Segen gereichen.
Möge dieses Haus unter dem Schutz Gottes stehen und dem Wohle der Gemeinde dienen. Das walte Gott!
Der Bürgermeister und Gemeindevorsteher
Die Beigeordneten
Die Gemeindeverordneten
Der Kreisbaumeister

Die Bürgermeister im neuen Rathaus:

  • Jakob Horster, bis 1908
  • Heinrich Neusen, von 1908 bis 1943
  • Edmund Fander, von 1943 bis 1944
  • gegen Ende des Krieges war die Gemeinde kurze Zeit ohne Bürgermeister
  • Erich Schmitz, 1945 bis 1946
  • Willi Krebs, 1946 bis 1969
  • Josef Brockmanns, 1969 bis zur kommunalen Neugliederung am 01.01.1970

In seiner Rede bei der Grundsteinlegung geht Bürgermeister Horster neben huldigenden Worten für seine Majestät Wilhelm II und einem Dank an Gemeinderat und Verwaltung noch einmal ein auf die Notzeiten, die die Gemeinde Anrath und seine Bevölkerung in der Mitte des 19. Jahrhunderts durchlitten haben. Er lobt den Aufschwung nach diesen Notzeiten und appelliert an Rat, Verwaltung und Bevölkerung:

“ich bitte auch fernerhin zu vertrauen und vereint mit mir in Einigkeit an der Hebung des Gemeinwohls weiterzuarbeiten. Ich habe die Gewißheit, daß dann auch bald der sehnlichste Wunsch, die Steuerermäßigung, in Erfüllung geht.”

Unter der erfahrenen Leitung des Kreisbaumeisters Cleve schreitet der Bau ohne Zwischenfälle zügig voran, und Bürgermeister Horster kann bereits im Oktober 1906 zur Einweihung einladen. Lesenswert ist der Text dieser Einladung, von Bürgermeister Horster in sauberer Sütterlin-Handschrift verfasst:

Mitbürger
Neben unserer herrlichen Kirche ragen 2 neu erbaute wichtige öffentliche Gebäude als eine Zierde unseres schönen Heimatortes hervor, als 2 weitere Marksteine in der Entwicklungsgeschichte Anraths. Es sind dies das neue Krankenhaus (Hospital) welches einem dringenden Bedürfnis entsprechend errichtet werden mußte und einem bisherigen gänzlich unhaltbaren und in sanitärer Beziehung nicht länger mehr zulässigen Zustand ein Ende macht und das neue Rathaus, welches endlich durch unbedingt notwendige Vermehrung und Zusammenlegung der Geschäftsräume mit Wohnung für den Bürgermeister geordnete Zustände in der Verwaltung schafft und einen früheren unwürdigen Zustand beseitigt.
Diese beiden Neubauten sollen am Sonntag den 14. Oktober d.J. die feierliche Weihe erhalten und ihrer Bestimmung übergeben werden. An der Feier nehmen voraussichtlich teil u. A. die Herren Regierungspräsident Schreiber und Landeshauptmann Regierungspräsident a. D. Dr. v. Reuvers aus Düsseldorf sowie Landrat Dr. Limbourg aus Crefeld und ist für dieselbe folgendes Programm aufgestellt worden:

1.) Nach dem Hochamte: Kirchliche Einweihungsfeier des neuen Krankenhauses / Hospitals
2.) Nachmittags 4 Uhr: Versammlung der verschiedenen Corporationen und Empfang der eingeladenen Ehrengäste am neuen Krankenhaus
3.) Überreichung der Schlüssel an den Herrn Landrat bezw. den Bürgermeister und Aufschließung des Hauses
4.) Ansprachen, Rundgang und Besichtigung des Hauses, Übergabe desselben. Sodann Gang zum neuen Rathause, hier
5.) Überreichung der Schlüssel an den Herrn Landrat bezw. den Bürgermeister und Aufschlie-
ßung des Hauses
6.) Ansprachen, Rundgang und Besichtigung des Hauses und Übergabe des Rathauses
7.) Hiernach Festbankett im Lokal des Wirtes Heinrich Rütters unter freundlicher Mitwirkung verschiedener Vereine, beginnend 4 1/2 Uhr, zu welchem die Mitbürger mit der Bitte um zahlreiche Beteiligung ergebenst eingeladen werden.

Ich zweifle nicht daran, daß diese seltene Festfeier ebenso wie die früher hier veranstalteten bei regster allgemeiner Beteiligung einen recht schönen Verlauf nehmen und der in dieser Beziehung bestehende gute Ruf Anrath’s von neuem Bestätigung finden wird.
Zur recht würdigen Gestaltung dieser Feier und zur besonderen Ehrung der zu erwartenden hohen Gäste bitte ich schließlich noch die Mitbürger alle Häuser zu beflaggen.
Anrath, den 6. Oktober 1906
Der Bürgermeister

Das Anrather Rathaus wird auch heute noch als Verwaltungsgebäude der Stadt Willich genutzt. Unmittelbar nach der kommunalen Neugliederung war hier der gesamte Bereich Finanzen untergebracht. Heute beherbergt das Rathaus neben dem Bürgerbüro den Geschäftsbereich Objekt- und Wohnungsbau.

Und warum nennen die alten Anrather ihr Rathaus liebevoll-ironisch “Peäperdues”? (Pfefferdose) Ganz einfach: weil der Dachaufsatz auf dem Turm einem Pfefferstreuer gleicht und nicht etwa, wie böse Zungen behaupten, weil Steuer- und Gebührenbescheide aus diesem Haus immer so “gepfeffert” gewesen seien!

Aus der Beschreibung der Denkmalbehörde:

Denkmal-Nr.25
Baujahr1906
Eintragung als Denkmal23.05.1985
DenkmalbeschreibungDas Rathaus ist zweigeschossig mit fünfgeschossigem Eckturm, der auf quadratischem Grundriß steht und Treppengiebel besitzt. Es ist ganz aus Backstein errichtet. Ein rückwärtiger Trakt an der Seite leicht verzogen. Dieser Trakt besitzt ebenfalls einen Treppengiebel. Die Fenster im 1. Obergeschoss sind mit Putzwänden versehen. Der Eingang zur Viersener Straße hin ist leicht verändert. Das Rathaus prägt sehr stark den Ortskern von Anrath.
Es ist Teil der historischen Bebauung um die Anrather Kirche und liegt am Anfang einer der vier Strassen, die vom Ortskern in die Nachbarorte führen.
Denkmalbeschreibung und Foto zur Verfügung gestellt von den Eheleuten Limburg, Wegberg