* 9. April 1876 in Rheindalen;
† 16. Mai 1958 in Anrath
“Rheinische” Oberbürgermeister waren stets eine Klasse für sich. Dies soll besagen, daß diese Oberbürgermeister das Gesicht der Gemeinwesen prägten, denen sie vorstanden. Für viele seien hier als besonders markante Namen genannt: Konrad Adenauer in Köln, Wilhelm Karl Jarres in Duisburg, Robert Lehr in Düsseldorf, Hans Luther in Essen – und in unserer nächsten Nachbarschaft: Johannes Johansen in Krefeld – heute noch dort liebevoll der “duppele Schäng” genannt.
Aber nicht nur Oberbürgermeister, sondern auch Bürgermeister in Kleinstädten und in Gemeinden prägten häufig das Profil “ihrer Orte”. Dazu gehörten Monar in Kempen, van Beek in Lank, Hermanns in Neersen, Sauvageot in St. Hubert und Heinrich Neusen in Anrath, von dem hier gesprochen werden soll.
Heinrich Neusen stammt aus Rheindahlen, wo er am 9.4.1876 geboren wurde. In seinen späten Lebensjahren pflegte er scherzhaft auf die besonderen Qualitäten seines Jahrganges 1876 aufmerksam zu machen, indem er auf seine Zeitgenossen Papst Pius XII (Pacelli) und Konrad Adenauer hinwies.
Im September 1890 begann ,Heinrich Neusen eine Verwaltungslehre in seiner Heimatgemeinde Rheindahlen. Später war er dann als Inspektor bei der Stadt Viersen tätig. Von hier ging er nach Neuss, als er dort die Stelle eines Oberinspektors bekommen konnte.
In Anrath mußte im Jahre 1908 der Bürgermeister Horster ersetzt werden. Heinrich Neu-sen bewarb sich. Er bekam die Stelle, denn u.a. war er durch ein kleines Werk über das damalige Steuerrecht bekanntgeworden.
Am 1. Juni 1908 konnte er seine Tätigkeit als Bürgermeister der aufstrebenden Industriegemeinde Anrath beginnen. Nachdem er in Anrath sattelfest geworden war, meinte er, das Fundament für eine eigene Familie gelegt zu haben. Erheiratete 1911 Käthe Breuer aus Neuss. Der Ehe entstammten drei Kinder – Karl Heinz, Hermann und Irmgard, die aber im zarten Kindesalter starb. Der Sohn Hermann starb vor einigen Jahren, nachdem er lange Zeit Amtsdirektor in Kleinenbroich gewesen war. Die ersten Amtsjahre von Heinrich Neusen waren von Frieden und wirtschaftlichem Aufschwung gekennzeichnet. Die großen Textilbetriebe am Ort – Tuchfabrik Jakob Krebs und Vereinigte Seidenwebereien, damals noch C. Lange – gaben vielen Anrather Bürgern einen sicheren Arbeitsplatz. Die Stahlwerke in Krefeld.und in Willich waren nicht weit entfernt.
Schon bald aber zogen Wolken am politischen Himmel auf. Am 1.8.1914 begann der Krieg und zwar gleichzeitig an zwei Fronten. Niemand ahnte damals, daß es mehr als vier Jahre dauern sollte, ehe wieder Friede einzog.
Auch für eine kleine Gemeinde wie Anrath brachte der Krieg tiefgreifende Veränderungen. Die Männer wurden eingezogen, die Frauen standen mit den Kindern allein. Vielfach mußten sie auch noch arbeiten. Die Industrie mußte aufKriegswirtschaft umgestellt werden. Die Ernährung, wie überhaupt die gesamte Lebensführung brachte Probleme, an die man früher einfach nicht gedacht hatte.
Daß all diese Probleme in Anrath ziemlich reibungslos gelöst werden konnten, war sicherlich nicht zuletzt der umsichtigen Führung von Heinrich Neusen zuzuschreiben. Mit einer erheblich verkleinerten Mitarbeiterschaft mußte all dies bewältigt werden. Grössere Projekte, z.B. der Bau einer Wasserleitung, mußten zwangsläufig zurückgestellt werden.
Aber auch die ersten Nachkriegsjahre blieben nicht problemlos. Die Besatzung kam, politische Unruhe kam auf, die Inflation machte sich immer stärker bemerkbar und dann kam auch noch der Ruhrkampf, bekannt als Zeit des “passiven Widerstandes”. Die Zeiten waren keineswegs rosig und Stresemann’s Silberstreif am Horizont war noch lange nicht sichtbar.
Aber es gelang, auch diese Zeitläufe ohne größere Wunden zu überstehen.
Umsicht, Ausdauer, Sparsamkeit und Gerechtigkeit getreu seinem Amtseid waren für Heinrich Neusen die Leitsterne seines Wirkens. Seine “Schule” war bekannt und es spricht für ihn, daß zwei seiner Mitarbeiter auf Bürgermeisterstühle berufen wurden, nämlich Paul Hermanns 1920 nach Neersen und Wilhelm Tenhaeff 1924 nach Weeze. Heinrich Neusen war zeitlebens ein Beamter “Preußischer Couleur”, bei dem Loyalität und Hingabe an die Sache Lebenselemente waren. Nach dem 30. Januar 1933 mußte er sich den neuen Strömungen anpassen, ohne aber deshalb zum “Anpasser” zu werden. Auf einen Gemeinderat im alten Sinne konnte er sich nicht mehr stützen. Die neue Ordnung setzte einen sog. Beschluß-Ausschuß ein, der zunächst aus sechs, dann aus acht Mitgliedern bestand. Den Sitzungen wohnte als “Beirat”, stets der Ortsgruppenleiter bei,der schließlich auch das letzte Wort hatte.
Am 1. September 1939 kam es dann zum 2. Weltkrieg, der in seinen Ausmaßen alle bisherigen Vorstellungen vom Krieg sprengen sollte. An sich hätte Heinrich Neusen im Jahre 1941 in den Ruhestand treten können. Die Personalnot in jenen Jahren zwang ihn aber, noch im Amt zu bleiben, bis er am 30. Juni 1943 von Dr. Edmund Fander abgelöst werden konnte.
Von da ab lebte er als Pensionär in Anrath, nur für kurze Zeit unterbrochen, weil ihn die Amerikaner nach dem Einmarsch zum komm. Bürgermeister ernannten.
Als Anerkennung für seine 35jährige Tätigkeit wurde eranläßlich seines 80. Geburtstages – 9.4.1956 – zum Ehrenbürger ernannt. Gleichzeitig verlieh ihm der Bundespräsident, Prof. Dr. Theodor Heuss, das Bundesverdienstkreuz.
Heinrich Neusen starb am 16.5.1958. Sein Grab fand er inmitten des von ihm geschaffenen neuen Friedhofes, der inzwischen eine prächtige Parkanlage geworden war, nahe dem Hochkreuz.
Später hat die Gemeinde zu seinem Andenken eine Straße im Neubaugebiet am Krickerhof mit seinem Namen benannt.
Es ist nicht verwunderlich, daß ein so bekannter Kommunalpolitiker wie Heinrich Neusen auch überörtlich nicht unbeachtet blieb. So war er viele Jahre 2. Vorsitzender des Deutschen Bürgermeisterbundes, LV Rheinland-Westfalen. Der Preußische Versicherungsverband für Gemeinden und Gemeindeverbände holte ihn für viele Jahre in seinen Aufsichtsrat.
Abschließend einige bemerkenswerte Daten aus Neusen’s Wirken innerhalb der Gemeinde Anrath:
- 1911: Bau des Kriegerdenkmales auf der Bahnstraße in Höhe Wahlen;
- 1912: Neubau der Volksschule für Jungen an der Allee;
- 1913: Enthüllung einer Gedenktafel anläßlich des 25jährigen Jubiläums von Kaiser Wilhelm II;
- 1926: Einrichtung eines Altenheimes an der Viersener Straße (Haus Gierlichs, heute Beginn der Berliner Straße);
- 1926: Anlage und Einweihung des neuen Friedhofs an der Neersener Straße;
- 1927: Wesentliche Erweiterung des Sportplatzes in der Donk und gleichzeitig Bau von “Haus Donk”;
- 1927: Bau der Wasserleitung. Die “Pumpenzeit” war damit zu Ende. S. hierzu: Anton Engels: “Die Böcke-Pomp” Anrather Heimatbuch 1978, Seiten 11/ 12/13.
- 1936: Bau der Krieger-Gedächtnis-Halle auf dem neuen Friedhof; die auf dem bisherigen Friedhof bestatteten Kriegstoten wurden dorthin umgebettet. Die Krieger-Gedächtnis-Halle bildet den Hintergrund bezw. den Abschluß des Ehrenfriedhofes.
- 1937: Verlegung des Denkmales für die Toten von 1864, 1866 und 1870/71 zum PrinzFerdinand-Platz. Leider fand bei den Montage- u. Transportarbeiten ein junger Anrather, Heinrich Janssen, den Tod.
- 1938: Einrichtung eines Freibades an der “Brockmanns Kull”.
Material zu diesem Bericht und das Bild hat dankenswerterweise Herr Karl Heinz Neusen, Düsseldorf, zur Verfügung gestellt.
Aus dem Heimatbuch 1979 – Von Heinrich Joecken