Flöthhof

Ein altes Anrather Bauernhaus aus dem 17. Jahrhundert

(von Gottfried Daum – Aus dem Heimatbuch 1987)

Der Flöthhof 1983

“Im Gegensatz zu der Zeit vor dem 2. Weltkrieg findet der Wanderer am linken Niederrhein immer seltener alte Bauweisen, die Kunde über die Vergangenheit geben. Beredte Zeugnisse gaben besonders die alten Bauernhäuser, die aus ökonomischen Gründen modernen Hofanlagen weichen mußten. Das Freilichtmuseum des Kreises Viersen, bekannt unter “Dorenburg” in Grefrath versucht unter schwierigsten Bedingungen alte Bauweisen in unsere Zeit “herüberzuretten”.

Das typische Bauernhaus des linken Niederrheins war das Sachsenhaus; ein Zweiständerhaus in der dreischiffigen Grundform mit Mitteleingang an der Giebelseite. Ein solches Bauernhaus blieb uns glücklicherweise in Anrath erhalten. Wenn der Wanderer von der Anrather Weberstraße nach Vennheide über den Flöthweg abzweigt, entdeckt er unter der Hausnummer 35 etwas versteckt einen sehr schönen Fachwerkbau.

Dieses alte Bauernhaus ist von jeher unter “Flöthhof” bekannt und stellt eines der besterhaltenen Bauernhäuser aus dem 17. Jahrhundert in der weiteren Umgebung dar.

Diese Wohnstatt ist mit Sicherheit schon weit über 800 Jahre alt, wenn auch die ersten Nachrichten viel später auftauchten. Die damaligen Flöthhofleute bauten zu jener Zeit ihre Wohnstatt in das unzugängliche sumpfige Randgelände des Flöthbaches inmitten des knorrigen Waldes der Donk. Dieses Gelände bot den Bewohnern Unterschlupf und Schutz in unruhigen Zeiten, denn außerhalb des Dorfes waren die Höfe bei Überfällen oder Plünderungen durch herumstreunendes Gesindel auf sich selbst gestellt. Erst im 15. Jahrhundert dürfte der wehrhafte Kleinkempener Schützenverein entstanden sein, der den Schutz der um das Dorf liegenden Höfe übernahm.

Der Flöthhof 1958 – die Dieleneinfahrt. Foto: Kreisbildstelle Viersen

Im Anrather Flöthhof finden wir die typischen Grundformen eines niederrheinischen Sachsenhauses wieder. Wie aus dem Ölgemälde des Malbauern ersichtlich, war noch vor der Jahrhundertwende das Gefache zwischen den schweren Eichenbalken mit Weidengeflecht und Lehmbeschichtung ausgefüllt. Erst später wurden die Außenseiten mit einem Backsteinmantel ausgefüllt. Am Flöthhof riß 1932 Heinrich Jacobs schließlich das Weidengeflecht auch an den Innenseiten ab und vermauerte das Gefache mit Ziegelsteinen ganz neu.

Das ziemlich steil abfallende Sparrendach mit Hahnenhölzern und Windverstrebungen war in alter Zeit mit Stroh und später mit roten Pfannen bedeckt.

Vor dem Eintritt durch das schwere Dielentor liest man darüber eine fromme Inschrift im schweren Türbalken, die sicherlich von einem Anrather Handwerker eingeschnitzt wurde,denn die Balkeninschrift enthält viele Merkmale des Anrather Platt(1). Durch die nach Nord-Ost ausgerichtete Toreinfahrt des Flöthhofes gelangte man früher in die lehmgestampfte Mitteldiele, die am Niederhein nur als Futterdiele (“Däl”) benutzt wurde. An der Hinterseite dieser Futterdiele lag ein Kamin(2). Über der hohen mit Brettern bedeckten Decke wurde das Getreide gespeichert.

Der Schriftbalken über der Dieleneinfahrt mit der Inschrift:
LVKAS 6. SIT BARMHERTZIG WIE EWER HIMLISER VATTER IST • GEBT SO WIRT MAN EVCH • EIN VBERFLVSCHIGE MASZ IN EWERN SCHOSZ GEBEN • ROEMERN 12 • HERBERGT DIE LEVDT GERNN • DVRCH GOTTES HILF VND GEWALDT • DEN 26. MERTZ • IS DIS HAVS HER GESTALDT • DOMAN 1636 TALDI.
(Lukas 6. Seid barmherzig, wie euer himmlischer Vater ist. Gebt, so wird man Euch ein überflüssiges Maß in Euern Schoß geben. Römer 12. Herbergt die Leut gern. Durch Gottes Hilfe und Gewalt, den 26. März ist dies Haus hergestellt, da man 1636 zählte) Foto: H. Jacobs

Hinter der Rückwand der Diele lag die Wohnküche, wo sich auch die Rückseite des Kamins befand, der mit einem Rauchfang überdacht war. Hier war der Kamin mit schönen gußeisernen Platten verziert, die als Wärmeleiter und Brandschutz ihre Funktion erfüllten. Beiderseits der Küche lagen die Spül-, Wohn- und Schlafkammern, aus deren Fenster man über die Felder nach Giesgesheide/Vennheide blicken konnte.

Die alte Küche des Flöthhofes war noch bis 1960 mit einem sehr schönen Kieselsteinboden belegt, der nach seinem Ausbau vom Freilichtmuseum in Kommern/Eifel übernommen wurde.

Zu beiden Seiten der Diele befanden sich die Ställe und teilweise darüber die Gesindekammern. Die Einfahrten dieser alten Bauernhäuser lagen meist auf der Tal- oder Wiesenseite(3). Bei dem Anrather Flöthhof war die Einfahrt nach dem Dorfe ausgerichtet, von wo in alter Zeit vom Neersener Klotzweg (Neersener Str. ab dem Hause Rath/Dirks, wo sich die Dymbkespoort befand) die Zufahrt zum Flöthhof einmündete.

Im Dielenraum des Flöthhofes befinden sich noch zwei bemerkenswerte Balkeninschriften über den Türen zu den Nebenräumen. Nachrichten über die Bewohner des Flöthhofes sind erst seit 1600 bekannt, als die Schätzung des Amtes Kempen durchgefuhrt wurde.

Aus dem alten Backhaus, das hinter dem Flöthhof stand, baute Heinrich Jacobs den Schriftbalken Anfang der zwanziger Jahre aus und brachte ihn als Türsturz über einer Türe in der Diele zum Nebenraum an. Der Balken trägt die Inschrift: “GOTT ALLEIN DIE EHR MICHEL FLVETH EFKEN BIRCKMANS SEINE HAVS FRAW HABEN DIES BACKHVS ERBAWEN LASSEN ANNO 1718 DEN 18 MEYH” Foto: H. Jacobs

Von 1600 bis 1800 saßen auf dem Flöthhof Heincken op dem Flöth, Jann Flöth und Peter Flöth. Offenbar hatte die Familie Flöth keine männlichen Nachkommen, denn am 14.2.1848 kam es zu einem Erbstreit zwischen den vier Töchtern der Familie, und zwar Maria Adelheid Flöth, die mit dem Ackersmann Johann Peter Kloten auf Matheshof in der Kraphauser Honschaft, verheiratet war; Maria Agnes Flöth, die mit dem Tagelöhner Heinrich Poscher verheiratet war, der Ackerin Petrinella Flöth; der Maria Magdalena Flöth, die mit dem Anrather Schuster Ludwig Konz verheiratet war. Der Flöthhof war damals bereits im Besitz von Jacob Ohligs und umfaßte 42 Morgen, 117 Ruthen und 10 Fuß preuß. Maß. Er stand zum Verkauf für 4000 Thaler an. Erst am 18.7.1878 konnte Jacob Ohligs den Flöthhof an den aus Hinsbeck stammenden Seidenweber und Ackerer Wilhelm Fleuth für 18900 Mark deutscher Reichswährung verkaufen. Neben dem Land in der Größe von ca. 40 Morgen erwarb der Käufer noch einen Milchschrank, eine Bettstelle und eine Wasserpumpe. Am 20.5.1880 sahen sich die Eheleute Fleuth nicht mehr in der Lage, Schuldzinsen zu leisten und über die bereits geleistete Anzahlung von 3 000 Mark hinaus Tilgungen zu erbringen. Der Besitzer des Göbkeshofes (heute Gottfried Steves, Sektion Ost, Nr. 26), Johann Hover übernahm den Flöthof und verkaufte ihn am 2.9.1880 an den Anrather Samtweber und Handelsmann Wilhelm Goddar und dessen Ehefrau Johanna Lammertz für 6000 Mark in deutscher Währung weiter. Es wurde vereinbart, daß der Käufer jährlich 4 ½ % auf den schuldigen Kaufpreis jeweils am St. Martini-Tag zu entrichten habe.

Ein weiterer Schriftbalken ist in der Diele des Flöthhofes zu einem Nebenraum als Türsturz eingebaut und trägt die Inschrift:
MATHIVS 25 KOMPT HER IR GEBENEDEITEN • MEINES VATTERS BESITZ DAS REICH ICH BIN • HUNGERIG ENT GAST GWEST MICH BEHERBRT
(Matthäus 25: Kommt her, Ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich […]. Denn ich bin hungrig gewesen […]. Ich bin Gast gewesen, und ihr habt mich beherbergt.) Foto: H. Jacobs

Da die Eheleute Goddar bald die Zinsen nicht mehr aufbringen konnte, wurde der Flöthhof an den Stellmacher und Wagenbauer Wilhelm Fuck verkauft, der jedoch den Hof bereits am 20. März 1900 an den Gärtner Gottfried Ramackers für 7000 Mark weiterverkaufte. Doch auch Ramackers vermochte die Schuldenlast, die auf den inzwischen schon sehr zerfallenen Hof lag, nicht mehr tragen, sodaß es am 15.7.1902 erneut zum Verkauf des Flöthofes kam. Als Käufer trat der vom Breyershof(4) in Viersen stammende Ackerer Gerhard-Hubert Jacobs auf, dessen Nachkommen noch heute den Hof in Besitz haben.

Die häufigen Besitzerwechsel des Flöthhofes im 19. Jahrhundert haben verhindert, daß dieser alte Bauernhof abgerissen wurde, um einem neuen Gebäude Platz zu machen. Der Heimatverbundenheit des Ackerers Gerhard-Hubert Jacobs ist es zu verdanken, daß er sich in den 30er Jahren die Mühe machte, das Wohnhaus zu restaurieren, ohne daß der ursprüngliche Baustil verfälscht wurde(5). Das Innere dieses alten Bauernhauses wurde in den sechziger Jahren unter Berücksichtigung der ursprünglichen Hausanlage von Peter Jacobs umgebaut.

Heute stellt der Flöthhof ein sehr schönes Baudenkmal eines alten niederrheinischen Bauernhauses dar.”


Anmerkungen von Heinz Jacobs zu diesem Text:

zu 1: “die Balkeninschrift enthält viele Merkmale des Anrather Platt”
Weitgehend sind hier Texte aus den Evangelien enthalten. Diese entsprechen der historischen Dietenberger Übersetzung (Quentel Verlag Köln) Das ist kein Anrather Platt. Lediglich der letzte Satz ist frei formuliert, aber auch dies ist m.E. nicht Platt, sondern die mittelalterliche Sprache.

zu 2: “An der Hinterseite dieser Futterdiele lag ein Kamin.”
Hier beschreibt Gottfried Daum ein zweigeteiltes Zweiständerhaus, wie er auch der Grundskizze in seinem damaligen Artikels entspricht. Der Flöthhof ist jedoch ein dreigeteiltes Haus, dh. an der Rückseite der Diele war nie ein Kamin bzw eine Feuerstelle. Der Kamin befindet sich zwischen Küche und Stube.

zu 3: “Die Einfahrten dieser alten Bauernhäuser lagen meist auf der Tal- oder Wiesenseite”
Dies ist so nicht richtig, es ist genau umgekehrt, die Einfahrt im Stallgiebel ist immer zur gegenüberliegenden Scheune ausgerichtet, die auf der dem Tal abgewandten Seite, der Felderseite liegt. Der Wohngiebel zeigt zur Wiesenseite. Siehe Flöthhof und Furthof.

zu 4: der Hof in Viersen heißt nicht Breyershof, sondern Preyergut. Das ist der Hof direkt hinter der Niersbrücke links.

zu 5: “Der Heimatverbundenheit des Ackerers Gerhard-Hubert Jacobs ist es zu verdanken …”
Gerhard Hubert Jacobs ist 1922 gestorben. Es war Heinrich Jacobs.


Der Flöthhof

(von Heinz Jacobs – Aus dem Heimatbuch 2010)

Bereits vor einigen Jahren erschien im Anrather Heimatbuch ein Artikel über den Flöthhof, verfasst von Gottfried Daum. Der nachfolgende Artikel ist aus Sicht eines Bewohners des Flöthhofes geschrieben. Grundlage hierfür sind Erzähltes, Gelesenes, sowie eigene Erfahrungen und Nachforschungen. Es mag einige Überdeckungen mit dem Artikel des früheren Heimatbuches geben, jedoch wurde versucht, in einer abweichenden Betrachtungsweise und der Schilderung der eigenen Eindrücke möglichst neue Aspekte zu beleuchten.

Der Flöthhof ist mein Elternhaus. Ich bin dort geboren und zusammen mit meinen Brüdern Johannes und Manfred aufgewachsen. Dass dies ein sehr altes Haus ist, war uns schon als Kinder klar, aber wir empfanden das Leben in diesem Haus als normal, weil alles alltäglich war: Die Inschriftbalken, die Futterdiele, die Tiere im Haus, das Fachwerk, die krummen Wände, die Handpumpe in der alten Küche und im Winter die Eisblumen an den Sprossenfenstern.

Gelegentlich kamen Schulklassen zu Besichtigungen und dann nachmittags oft nochmals einige Schüler für weitere Nachfragen, weil sie einen Aufsatz schreiben mussten. Als dann 1964 zwei Aachener Architekturstudenten für ihre Abschlussarbeit mehrere Wochen im Gebäude Aufmaßzeichnungen anfertigten, fragte ich mich als Kind schon: Was mag hier so besonders sein? Das ist doch nur unser Haus.

Auf dem Foto erkennt man den schlechten äußeren Zustand des Gebäudes. Foto: Renners, aus “Das niederrheinische Bauernhaus” von Albert Steeger aus 1935 (3)

Natürlich kannten wir die Ausführungen in der “Geschichte der Gemeinde Anrath” von Gottfried Kricker, aber erst viel später versuchte ich, das für uns “Normale” weiter zu hinterfragen: Welche Geschichte hat das Haus, was ist das Besondere, und wer waren die Bewohner? Vor Jahren, bei einem Besuch des Freilichtmuseums Molfsee bei Kiel, gab ein kompetenter Museumsmitarbeiter einige gut verwertbare Literaturhinweise. Nach und nach gelang es, verschiedene Bücher mit Artikeln über den Flöthhof ausfindig zu machen. Man stellt hierbei sehr schnell fest, dass der Flöthhof in der deutschen Bauernhausforschung für den Niederrhein einen festen Platz inne hat.

Der Flöthhof wurde in Kleinkempen, dem Kempener Siedlungsgebiet der Großen Honschaft erbaut. Kleinkempen umgab den mittelalterlichen Kern von Anrath, im wesentlichen begrenzt durch das Kehn (Vorst), den Flöthbach und Willicher Land, und es ragte als schmaler Landstreifen den Flöthbach entlang bis über Wekeln hinaus. (1)

Die Hofstelle wurde, wie viele Höfe Kleinkempens wahrscheinlich bereits vor 1200 gegründet(1). Der Name Flöthhof geht auf den nahe liegenden Flöthbach und auch auf die hiernach genannten früheren Bewohner zurück. Der Hof blieb offensichtlich über Jahrhunderte im Familienbesitz. Im Jahre 1848 wurde der Hof von den vier Töchtern des letzten Besitzers der Familie Flöth verkauft. Der Hof wechselte nun mehrfach den Eigentümer, wobei der größte Teil des Landes abgetrennt wurde und die Nebengebäude verloren gingen. Diese Zeit wurde ausführlich in dem Artikel des früheren Heimatbuches von Gottfried Daum beschrieben. Der Resthof wurde im Jahre 1902 von Gerhard Jacobs, vom Preyergut in Viersen, erworben und ist seitdem im Familienbesitz. (2)

Vor dem Dielentor mit dem Inschriftbalken. Sitzend: Gerhard Jacobs und Anna Jacobs, geb. Hellwegen; stehend deren Kinder Joseph, Jakob und Wilhelmine, die Geschwister meines Großvaters Heinrich. Foto: Familienbesitz

Als Gerhard Jacobs den Hof kaufte, war das erhaltene Gebäude in einem sehr schlechten Zustand. Zu Beginn der 1930er Jahre wurden von seinem Sohn Heinrich Jacobs erhebliche Renovierungs- und Erhaltungsmaßnahmen durchgeführt, ohne die historische Substanz des Gebäudes zu zerstören. Eine eingestürzte Gebäudeecke wurde repariert, die bereits gemauerten Außenwände wurden neu verfugt und der Stallgiebel wurde ausgemauert, wobei das alte Giebelfachwerk größtenteils erhalten blieb.

Von den ehemaligen Gebäuden des Flöthhofes ist nur noch das Wohn-Stall-Haus aus dem Jahre 1636 erhalten. Neben diesem Gebäude gehörten zu der Hofanlage eine ca. 15 Meter quer vor dem Stallgiebel liegende Scheune und ein 1718 errichtetes Backhaus. Die Scheune und das Wohn-Stall-Haus waren auf der Seite des Flöthweges mit Schuppengebäuden und einem Torgebäude verbunden(4). Ob ursprünglich auch noch ein Speichergebäude vorhanden war, wie auf vielen Höfen üblich, ist unbekannt, aber nicht wahrscheinlich, da offensichtlich die oberen Räume des Wohn-Stall-Hauses als Speicher dienten.

Umgeben war das Anwesen von einem Schutzgraben. Der einzige passierbare Zugang führte durch das Torgebäude. Der Flöthhof hat die Zerstörungen infolge des 30-jährigen Krieges, denen in unserer Region im Frühjahr 1642 zahlreiche Höfe und ganze Dörfer zum Verhängnis wurden, offensichtlich schadlos überstanden. Dies ist insbesondere erwähnenswert, da die Zerstörung auch einiger in unmittelbarer Nähe liegender Gebäude, zum Beispiel von Haus Hohensand, überliefert ist. (1) Die Scheune, das Backhaus und das Torgebäude sind etwa um die Jahrhundertwende 1900 untergegangen. An der Stelle des Torgebäudes wurde von meinem Großvater ein schmiedeeisernes Tor eingebaut, das er gebraucht gekauft hatte. Das Tor war vorher bei Aengenheyster auf der Viersener Straße eingebaut.

Zustand direkt nach dem Neuaufbau des Giebels im Jahre 1932. Maria Jacobs mit ihren Kindern Johannes, Peter (meinem Vater im Alter von 12 Jahren) und Annchen. Foto: Familienbesitz

Der Schutzgraben ist nach der Entwässerung der Region nach ca. 1930 verlandet und anschließend verfüllt worden. Der Verlauf des Grabens ist als leichte Geländevertiefung noch gut erkennbar. Das seinerzeit vom Malbauern (Grefertz, Vennhof auf der Vennheide) gefertigte Gemälde zeigt neben dem Hauptgebäude noch das Torgebäude und den Teil des Schuppens, der ursprünglich bis an die Scheune reichte. Der Schutzgraben ist noch mit Wasser gefüllt und man kann ahnen, wie hoch der Grundwasserspiegel in unserer Heimat damals war. Im Hintergrund ist der in den 1940er Jahren abgebrochene Furthof zu erkennen. Dieser Hof war auf der anderen Seite des Flöthbaches spiegelbildlich zum Flöthhof angeordnet. Der Name Furthof lässt vermuten, dass der Flöthbach seinerzeit aufgrund der Wasserführung wohl nicht überall passierbar war.

Der Furthof hatte bis zuletzt noch die offene Feuerstelle und “man konnte, wenn man unter dem Rauchfang stand, die Wolken und den blauen Himmel sehen” (Peter Jacobs).

Die Ausrichtung der Wohn-Stall-Häuser in diesem Gebiet orientierte sich oft an der Geländestruktur. So wurden zahlreiche Höfe an den “Talrändern”, in der Nähe der Bäche, inmitten der zugehörigen Ländereien, so angeordnet, dass auf einer Seite, der feuchten Talseite, auch in trockenen Sommern eine saftige Weidefläche zur Verfügung stand und auf der anderen, der Flussseite abgewandten Seite, eine relativ trockene Bestellung der Felder möglich war.

Gemälde von Grefertz (Malbauer). Foto: Heinz Jacobs

Bei dem erhaltenen Wohn-Stall-Haus des Flöthhofes handelt es sich um ein niederrheinisches Fachhallenhaus in Zweiständerbauweise. Es hat eine dreischiffige Grundform mit einer Toreinfahrt auf der Stallgiebelseite. Am Niederrhein waren die Ausmaße der Wohn-Stall-Häuser nicht vergleichbar mit den zum Teil sehr großen Häusern in Niedersachsen und Schleswig-Holstein. In Norddeutschland war es üblich, in den Häusern neben Wohnraum und Ställen auch noch den Bergeraum für Heu und Stroh vorzuhalten. Dafür waren die Wohn-Stall-Häuser am Niederrhein zu klein und so gehörte hier typischerweise eine separate Scheune zu den Höfen(5). Diese Scheunen waren, wie auch die ehemalige Scheune des Flöthhofes, in der Regel nicht längs, sondern quer aufgeschlossen, das heißt, die Toreinfahrt führte nicht über den Giebel wie beim Haupthaus, sondern über die Traufenseite. Das Tor war so weit in die Seite der Scheune eingefügt, dass eine akzeptable Torhöhe erreicht wurde, damit man mit einem beladenen Wagen einfahren konnte. Dies war erforderlich, weil die Dächer an den Traufenseiten üblicherweise sehr tief herunter führten. Die Scheune besaß eine Mittel-Quertenne(5). In dieser Scheunentenne wurde auch das Stroh gedroschen und nicht, wie oft vermutet wird, in der Diele des Wohn-Stall-Hauses. Diese Gebäudeform der Niederrheinischen Scheune entspricht also nicht der niederdeutschen, sondern eher der mitteldeutschen Bauweise, trotz ähnlicher Abzimmerung.

Gelegentlich werden die Hallenhäuser des Niederrheins, so auch der Flöthhof, in einem aktuellen Wanderführer aufgrund der Dreischiffigkeit fälschlicherweise als Vierständerhaus beschrieben.

Mein Vater, Peter Jacobs, erzählte, als er Anfang der 1930er Jahre einmal aus der Schule kam, waren mehrere Leute damit beschäftigt, das Haus zu untersuchen. Heute kann man vermuten, dass dies Albert Steeger mit seinen Mitarbeitern gewesen sein muss. Dr. Albert Steeger, bekannt aufgrund seiner geologischen und archäologischen Forschungen und später Direktor der Krefelder Museen, hat als erster den Flöthhof in seiner baugeschichtlichen Bedeutung bekannt gemacht und in den 1930er Jahren im Rahmen seiner hauskundlichen Arbeiten beschrieben. Eine detaillierte Bau-Aufnahme und Beschreibung wurde in mehreren hauskundlichen Büchern und Schriften von Gerhard Eitzen veröffentlicht.

Blick auf eine Binder-/ Ständerverzapfung im Obergeschoss. Die Lehmausfachungen sind noch original, oben ist die Wand nur im Innenschiff mit Lehm beworfen. Foto: H. Jacob

Der Stallgiebel ist einseitig mit einem Vorbau versehen, sodass das Tor außermittig, asymmetrisch angeordnet ist. Bei anderen noch erhaltenen Fachhallenhäusern des südlichen Niederrheines ist ein derartiger Vorbau nicht vorhanden. Das Tor befindet sich normalerweise in der Mitte des Giebels. Das tragende Gefüge des Gebäudes besteht aus fünf Gebinden, die jeweils aus zwei Ständerbalken gebildet werden. Diese jeweils zwei Ständer sind durch je zwei Binderbalken miteinander verbunden. Zusammen bilden diese fünf Gebinde die Begrenzung des Mittelschiffes des Gebäudes. Links und rechts dieses Kerngefüges wurden die Seitenschiffe, Kübbung oder Afdak genannt, auf der Traufseite durch eine Pfostenreihe begrenzt. Die Pfosten wurden über die Deckenbalken der Seitenschiffe, den Hillbalken, mit dem Kerngefüge verbunden. Alle Innen- und Außenwände waren ursprünglich in Lehmfachwerk ausgeführt. Dieses Lehmfachwerk war im unteren Bereich der Außenwände durch zahlreiche im Lehmmauerwerk verborgene Bohlen verstärkt(5). Spuren dieser Bohlen sind im Stallgiebelfachwerk noch erkennbar. Auf den Traufseiten und der Wohngiebelseite wurde das Lehmfachwerk bereits frühzeitig durch eine Ziegelausmauerung ersetzt. Hierbei wurden die Balken des Kerngefüges auf der Wohngiebelseite eingemauert. Die Außenwände auf den Traufseiten wurden außerhalb des ursprünglichen Fachwerks neu errichtet. Von dem ursprünglichen Fachwerk der Traufseiten ist somit – bis auf einen kleinen Rest im Stallbereich, wo bereits frühzeitig angebaut wurde – nichts mehr erhalten. Im Innenbereich der oberen Stockwerke ist jedoch das originale Lehmfachwerk noch nahezu vollständig vorhanden. Man kann an verschiedenen Stellen deutlich den klassischen Aufbau einer Ausfachung mit senkrechten Stäben, dem Geflecht und dem Lehmbewurf erkennen.

Man betritt das Gebäude durch das große Tor im Stallgiebel. Über dem Eingangstor befindet sich eine Inschrift mit Zitaten aus dem Lukas-Evangelium und dem Paulus-Brief an die Römer sowie dem Baudatum 1636.

Durch das Eingangstor gelangt man in die Futterdiele. Die Futterdiele erstreckt sich auf zwei Gebindetiefen des Mittelschiffes.

Grundriss vom Erdgeschoss im Originalzustand. Das Gebäude hat tatsächlich kaum einen rechten Winkel. Die genaue Lage der Türen im Wohngiebel, an der Brunnenseite und zum Pferdestall innen ist nicht mehr erkennbar und wurde aus (5) übernommen. Zeichnung: H. Jacobs

Links der Diele war der Kuhstall angeordnet. Die Wand zwischen Diele und Kuhstall war ursprünglich offen, sodass von der Diele aus die Fütterung der Tiere erfolgen konnte. Vom Giebel aus führte eine breite Eingangstüre in den Kuhstall. Der Stall war als Tiefstall ausgeführt, das heißt, der Boden war etwas vertieft(5). Die Strohlage wurde nicht häufig gewechselt, stattdessen wurde immer nur eine frische Lage Stroh auf die verschmutzte aufgebracht, sodass die Kühe mit der Zeit auf einer dicken Lage Mist standen. Die breite Stalltüre im Giebel erlaubte bei Bedarf das Einfahren eines Mistwagens.

Rechts der Diele befand sich, allerdings nur ein Gebinde tief, der Pferdestall. Dieser war im Gegensatz zum Kuhstall zur Diele hin geschlossen, hatte aber eine Türe zur daneben liegenden Kammer(5). Der Zugang zum Pferdestall erfolgte über die noch erhaltene zweiteilige Türe im Stallgiebel. Über der nachträglich eingebauten Türe von der Diele zum ehemaligen Pferdestall wurde von meinem Großvater ein vom ehemaligen Backhaus aus dem Jahre 1718 stammender Balken mit Inschrift eingebaut. Es ist davon auszugehen, dass vor der Erbauung des Backhauses im Wohnhaus gebacken wurde. Anfang 1700 wurde dies in vielen Gegenden verboten, da vom Backen häufig Brände ausgingen.

Ursprünglich war die Dielendecke mehr als fünf Meter hoch. Das zweite Ständerpaar war nur mit einem Binderbalken in der Deckenhöhe verbunden. Durch eine nachträglich eingebaute Zwischendecke mit einem zusätzlich eingepassten Binderbalken wurde die Dielendecke etwas abgesenkt. Eine ursprünglich derart hohe Dielendecke war bei den ohne Schornstein ausgeführten Rauchhäusern notwendig, damit der Rauch der Feuerstelle aus der hinter der Diele liegenden, zu dieser offenen, Wohnküche schneller aufsteigen konnte. Bei unserem Gebäude waren jedoch von Anfang an ein Schornstein und die Wand zwischen Diele und Wohnküche als Trennung zwischen Stall- und Wohnbereich vorhanden. Bei vergleichbaren, jedoch jüngeren Häusern, wie dem Kirschhof auf Hagen oder dem Heyerhof aus Herzbroich (heute in Kommern), war die Diele niedriger ausgeführt. Die Wohnküche liegt hinter der Diele und erstreckt sich auf eine Gebindetiefe. Oberhalb der Türe zur Wohnküche befindet sich ein Balken mit einer Inschrift aus dem Matthäus-Evangelium.

Die Küche erstreckt sich über das Fach des Mittelschiffes und des rechten Seitenschiffes. In dieser Wohnküche befand sich die offene Feuerstelle an der der Diele abgewandten Seite. Der Rauchabzug erfolgte durch einen Zug eines in der Rückwand der Küche eingebauten Zwillingskamins.

Detail der Wohnküche des Flöthhofes in den 1950er Jahren. Rechts die Platten der ehemals offenen Feuerstelle, links vor der Eingangstüre der Kreis mit dem Kreuz. Foto: Kreisbildstelle Kempen-Krefeld

Der Fußboden bestand aus einem in Lehm eingesetzten Kieselmosaik. Der Grundton dieser Kiesel war weiß und mit schwarzen Steinen waren Muster und Schriftzeichen geformt. Direkt an der Eingangstüre war ein Kreis mit einem Kreuz eingelegt. Auf der rechten Seite befanden sich die Namen früherer Bewohner (Michel Fleuth) aus dem 18. Jahrhundert, sowie einige Rosetten und das Jesus-Monogramm. Auf der hinteren linken Seite gelegen befanden sich noch die Bodenplatten der ehemals offenen Feuerstelle der Küche. Ebenfalls auf der linken Seite, aber an der Dielenwand, befand sich eine Handpumpe. Mein Großvater hat die Handpumpe hier angebracht. Vorher befand sich die Pumpe außen an der Traufenseite des Gebäudes.

Nach der Entwässerung des Gebietes in den 1930er Jahren passierte es in trockenen Jahren gelegentlich, dass der Brunnen versiegte. Dann musste Wasser bei den Nachbarn geholt werden.

Ich erinnere mich, dass ich als kleines Kind gerne beobachtete, wie die Morgensonnenstrahlen für einen kurzen Moment durch die eingefärbten Glasscheiben des kleinen Fensters zum Nebenraum bunte Flecken auf das Kieselmosaik malten. Das sah schön aus. Ein Wohnen auf so einem Fußboden ist jedoch wenig romantisch. Der Fußboden ist immer matt, staubig und kalt. Die Großeltern trugen im Winter dicke Socken in Holzschuhen. Der Boden konnte nur vorsichtig gekehrt oder leicht feucht gewischt werden. Für die Fotos wurde der Boden angefeuchtet, damit er einen besseren Kontrast hatte.

Dieser Fußboden ist heute leider nicht mehr vorhanden. Anfang der 1960er Jahre kam der Tag, an dem der Fußboden abgegeben wurde und von Mitarbeitern des Freilichtmuseums Kommern Stein für Stein entnommen wurde. Die Abgabe des Fußbodens stellt aus heutiger Sicht einen sehr großen Verlust dar. Der Fußboden ist bis zum heutigen Tage in Kommern nur als kleines Exponat in einer unvorteilhaften Art ausgestellt: Der Kreis mit dem Kreuz wurde angeschnitten und auf den Kopf gestellt.

In der Abseite links des Wohnküchenfaches war wahrscheinlich die Spülküche angebracht. Auf dieser Höhe befand sich neben dem Gebäude der Brunnen. Hier war eine Außentüre vorhanden. Über dem alten Brunnen steht heute eine Handpumpe.

Hinter dem Küchenfach befindet sich das Kammerfach mit der ursprünglich “guten Stube” und den Schlafräumen. In der Stube befand sich eine weitere offene Feuerstelle, die an dem zweiten Zug des Doppelkamins betrieben wurde. Die Stube war also neben der Wohnküche der einzige beheizbare Raum des Hauses. Von hier aus führte auch eine Türe nach außen. (5) Zwei kleinere Schlafräume sind etwas erhöht oberhalb eines Kellers angebracht, die so genannten “Opkamer” mit ihrer niedrigen Deckenhöhe. Zu den oberen Stockwerken führen zwei Treppen, eine im Wohnbereich und eine im Stallbereich auf der Diele gelegen. Wie bereits erwähnt, ist in den oberen, unbewohnten Etagen das originale Fachwerk noch erhalten.

Henriette und Peter Jacobs am 15. Juli 2002. (Flöthhof 100 Jahre im Familienbesitz) Foto: H. Jacobs)

Zum Flöthhof gehört das von einer alten Hain- und Rotbuchenhecke umgebene Gartengelände und eine alte Streuobstwiese, auf der zur Zeit neue traditionelle Hochstammobstbäume angebaut werden.

Das Wohnen in einem historischen Gebäude hat seine Eigenarten. Es ist stets schwierig, moderne Wohnansprüche und den Erhalt der Substanz miteinander in Einklang zu bringen. Jede Renovierung will genau bedacht sein. Besonders die so genannten “Kernsanierungen” zerstören bis auf das Balkengerüst alles.

Das Dach wurde im Jahre 1972 im alten Stil mit eigens hierfür angefertigten Hohldachziegeln und Strohpuppen mit Einfassungen aus Schieferplatten erneuert. Vor einigen Jahren wurde eine Blitzschutzanlage installiert. Das schmiedeeiserne Hoftor wurde restauriert und verzinkt. Die Blenden wurden in Handarbeit als genaue Kopie der früheren, morschen Blenden angefertigt. Im Jahre 2008 musste der schadhaft gewordene Wohngiebel instand gesetzt werden. Auf der einen Seite sind diese Erhaltungsmaßnahmen mit einem hohen finanziellen und persönlichen Aufwand verbunden. Auf der anderen Seite entschädigt das Gebäude mit seinem besonderen Charakter für diesen Einsatz. Es vermittelt einmalige Eindrücke und lässt die Natur näher empfinden: Das Knarren des Gebäudes bei Sturm, das Klappern der Blenden, die Anwesenheit der Tiere im Stall und die im Sommer auf der Diele nistenden Schwalben, das schummrige Licht auf der Diele und das Gefühl der Geborgenheit, wenn an stürmischen Herbst- und Wintertagen das große Tor geschlossen wird und Kälte und Dunkelheit ausgesperrt werden.
Quellen:
(1) Kricker, Geschichte der Gemeinde Anrath, 1959
(2) eigene Urkunden
(3) Steeger, Das niederrheinische Bauernhaus, 1935
(4) Katasteramt Viersen
(5) Eitzen, Niederheinische Bauernhäuser, 1981

Weitere Literatur:
Peßler, Das Sachsenhaus in seiner geographischen Ausbreitung, 1908
Steeger, in “Zeitschrift für Niederrheinische Heimatpflege”
Eitzen, Deutsche Hausforschung, 2006


Aus der Beschreibung der Denkmalbehörde:

Denkmal-Nr.36
Baujahr1636
Eintragung als Denkmal15.08.1985
DenkmalbeschreibungBei dem Flöthhof handelt es sich um eine 1636 errichtete Hofstelle. Die Anlage ist ein zweigeschossiger Backsteinhof. Seine Front besitzt Fachwerk sowie eine zurückgezogene Eingangsachse. Die Vorderfront ist mit Krüppel- und Fußwalmdach versehen. Die Fenster wurden Ende des 19. Jahrhundert verändert.
Denkmalbeschreibung und Foto zur Verfügung gestellt von den Eheleuten Limburg, Wegberg