(Aus dem Heimatbuch 2010)
Julian Heuer ist Schüler am Lise-Meitner-Gymnasium in Anrath. In einer Projektarbeit, die begleitet wurde von seiner Deutschlehrerin, Frau Kaminski, hat er am Beispiel des „Anröthsch Platt“ eine Bestandsaufnahme und Zukunftsprognose zur“Rheinischen Muttersprache“ erstellt.
1. Einleitung
Da diese Facharbeit im Fach Deutsch abgeliefert wird, war für mich klar, dass ich eine Sprache oder eine Mundart thematisieren würde. Anrather Platt als letztlich gewählte Mundart lag nahe, weil ich fast mein ganzes Leben in Anrath lebe und auch Teile meiner Verwandtschaft dort Ihre Wurzeln haben. Dementsprechend identifiziere ich mich mit diesem Ort. Da ich außerdem einen Hang zu Dialekten und Platt habe, lag für mich das Anrather Platt als Thema klar auf der Hand. Nach einem Besuch des Mundart-Stammtischs beim Bürgerverein Anrath stand der Entschluss fest, dass mit dieser Facharbeit die Fragestellung untersucht werden soll, ob der Niederrhein und speziell Anrath tatsächlich seine Mundarten verliert.
Um der Fragestellung nachzugehen war es meiner Meinung nach nötig, die Vorgeschichte zu klären, die Hindernisse aufzuzeigen, die heutigen Argumente für und gegen den Erhalt zu erläutern und die Organisationen, die gegen einen möglichen Verlust kämpfen, vorzustellen. Durch das Wissen über die Vergangenheit und die Gegenwart der Mundart ist man dann in der Lage, mögliche Konsequenzen für die Zukunft aufzudecken. Nur dann ist es auch möglich, das Ausmaß zu erkennen, die Dringlichkeit abzuschätzen und daraus Rückschlüsse bezüglich der Fragestellung zu ziehen.
Eine besondere Herausforderung stellte sich dadurch dar, dass es speziell über Anrather Platt kaum wissenschaftliche Berichte gibt, die Fachliteratur zu manchen Unterthemen war dementsprechend begrenzt. Dies wiederum machte es nötig, einige Informationen von Zeitzeugen zu beschaffen, so auch aus zwei umfassenden Interviews mit dem Leiter des Anrather Mundart-Stammtischs, Friedrich Kluth. Diese Gespräche erwiesen sich teilweise deutlich aufschlussreicher als so manche Fachlektüre.
2. Historie des Anrather Platt
2.1 Einfluss durch die französische Besetzung.
Um zu verstehen, warum die Franzosen einen solch großen Einfluss auf das Vokabular der Anrather Mundart hatten, sollte man die Vergangenheit des linken Niederrheins kennen. Der Zeitraum zwischen 1794 und 1815 gilt linksrheinisch als prägend in der Sprachentwicklung. 1794 wurden die linksrheinischen Gebiete von den Franzosen unter Napoleon Bonaparte erobert und später systematisch der gesellschaftlichen und politischen Ordnung Frankreichs angepasst. Sechs Jahr nach der Eroberung wurde für dieses Gebiet die französische Verfassung eingeführt. Napoleons Einfluß war dementsprechend groß und prägte die linksrheinischen Städte und Dörfer, so also auch Anrath, in vielen Bereichen, wie Gesellschaft und Kultur. Als 1815 das Rheinland in den Befreiungskriegen von der französischen Besetzung befreit wurde, bestanden die Bewohner linksrheinischer Gebiete darauf, die von Napoleon eingeführte, bürgerliche Gesetzessammlung, den „Code Civil“, bestehen zu lassen.
Es liegt also nahe, dass einige Begriffe des Anrather Platt, da eine linksrheinische Mundart, aus dieser Zeit und von den Franzosen stammen. Meistens lässt sich bei den Anrather Begriffen die französische Herkunft noch recht deutlich erkennen, dennoch sind einige Buchstaben verändert. Dies lässt sich darauf zurückführen, dass die Bewohner damals verschiedene Wörter von den französischen Soldaten aufschnappten, nicht wussten, wie sie richtig geschrieben wurden und dennoch in den alltäglichen Sprachgebrauch integrierten. Sprach zum Beispiel der französische Soldat von einem Regenschirm, sprach er vom „parapluie“. „Op Platt“ spricht man vom „Paraplüh“; für einen Deutschen ohne Französisch-Kenntnis scheint dies die logische Verschriftlichung des Gehörten zu sein. Gleiches gilt für den französischen Begriff „trottoir“, der den hochdeutschen „Bürgersteig“ beschreibt. Ging ein Anrather, oder generell Niederrheiner sicher vor dem Straßenverkehr auf diesem Gehweg, dann ging er auf dem „Trottewar“. Den Einfluss, speziell der am linken Niederrhein stationierten Soldaten Napoleons, zeigt ein bestimmtes Mundartwort besonders gut. Dieses Wort ist „Fisematente“ und wird als Begriff für Dummheiten im Zusammenhang mit dem Satz „Mach bloß keine ,Fisematente`!“ gebraucht. Benutzt wird dieser Satz meist von niederrheinischen Eltern, die ihre Kinder davor warnen wollen, Dummheiten zu machen. Seinen Ursprung findet das Wort im Französischen und ist eigentlich eine Aufforderung. Wenn die in Zelten untergebrachten, französischen Soldaten versuchten, die vorbeigehenden jungen Frauen zu einem Besuch in ihrem Zelt aufzufordern, dann riefen sie „Visite ma tente“ (zu Deutsch: „Besuch‘ mein Zelt“). Da solche Besuche den Eltern allerdings nicht gefielen, warnten sie ihre Töchter davor, „Zeltbesuche“ oder ähnliche Dummheiten zu machen.
Die französisch beeinflussten Wörter sind also, anders als die aus der zweiten großen Einflussquelle, der Weberei stammenden Wörter, nicht genau übernommen, sondern in Mundart-Schreibweise und -Aussprache übertragen worden.
2.2 Einfluss des Webereigewerbes
Hatten die Franzosen unter Napoleon noch das gesamte linksrheinische Gebiet in seiner Mundart beeinflusst, so lässt sich der Einfluss der Weber in erster Linie auf Anrath und die nähere Umgebung beziehen. 1660 erarbeitete sich die Hälfte der Anrather Bevölkerung seinen Lebensunterhalt im handwerklichen Gewerbe. Anrath war also lange Zeit ein Dorf der Handwerker. Dass die Weberei der größte Arbeitgeber war, lässt sich auch heute noch an einigen Straßennamen nachvollziehen. So finden sich zum Beispiel die Weberstraße und die Jakob-Krebs-Straße in Anrath. Wobei Jakob Krebs der einflussreichste Webereibesitzer des Dorfes war. Außerdem wurde die größte Sporthalle Anraths „Leineweber-Halle“ getauft.
Deshalb kamen Begriffe aus der Weberei auch in den alltäglichen Sprachgebrauch. So beschreibt zum Beispiel ein „Drömel“ im Alltag eine Person, die zu nichts Vernünftigem zu gebrauchen ist. Bei den Webern beschreibt dieser Begriff das Stück eines gewebten Stoffes, das im Nachhinein entfernt und weggeworfen wird, da es unbrauchbar ist. Auch einige Vereine oder Gruppen gaben sich Namen, die sich auf die Weber-Vergangenheit von Anrath beziehen. Zum Beispiel der Singkreis „Leddschesweäver“ (Liederweber), oder es gab die Gruppe, die den Saalkarneval in Anrath wiederbelebte, die nannte sich „Spouljonges“ (die Jungen, die dem Weber die Spulen vorbereiteten). Sogar im Anrather Karnevalslied „De Schöttspoul“, das am 11.11.1938 uraufgeführt wurde, bezieht sich der Text auf den Weber und seine Spule. So groß der Einfluss der Weberei und der französischen Besetzer auch war, die Wörter ersetzten keineswegs Wörter aus der Mundart, sondern erweiterten das Vokabular des Anrather Platt um ein Vielfaches.
2.3 Gründe für den Rückgang
2.3.1 Verdrängung durch Anglizismen
Durch den Einfluss der französischen Besetzer und des Webereigewerbes wurde der Wortschatz des Anrather Platt bereichert. Erst viele Jahre später beginnt diese Bereicherung nichtiger zu werden, denn andere Spracheinflüsse infiltrieren die deutsche Sprache und somit auch Mundarten. Den größten Einfluss hat heute die englische Sprache, besonders auf die Jugend, die täglich von der Werbung mit neuen Trendwörtern versorgt wird. Inzwischen geht sogar soweit, dass Wörter von Deutschen so erfunden werden, dass sie englisch klingen. Wenn man zum Beispiel am Bahnhof Informationen erfragen möchte, dann geht man heutzutage zu einem „Service Point“. Dass das Wort im Englischen nicht existiert, interessiert scheinbar niemanden. Solche Einflüsse mag man lustig oder traurig finden. Fakt ist, dass dadurch immer neue Wortschöpfungen oder die Integration von englischen Begriffen in den alltäglichen Sprachgebrauch die Mundartbegriffe in den Schatten treten und langsam in Vergessenheit geraten. Das liegt vielleicht auch daran, dass ländliche Mundart in den Städten nicht mehr verstanden wird.
Wenn man in der Stadt behauptet, eine Person sei „verdötsch“, dann stößt man meist auf ratlose Gesichter. Sagt man allerdings diese Person sei ein wenig „crazy“, dann wissen gleich alle Bescheid. Wer damals „brasselte“, der „jobbt“ heutzutage und wer dazu auch noch Modenarr ist, der bezeichnete sich damals als „Schwicker“ und heute mit den sehr amerikanischen Worten „Fashion Victim“. Dass nicht die englischen Begriffe, sondern eher die der Mundart einer expliziten Übersetzung benötigen, zeigt nur, dass jene als Neudeutsch beschriebenen Wörter so häufig in den Medien fallen, dass sie uns inzwischen geläufiger sind.
Dadurch, dass die Mundart im frühen 20. Jahrhundert begann, in den Schatten des Hochdeutsch zu treten, wurden einige Mundartbegriffe unwichtiger. Dass nun durch die neudeutschen/englischen Wörter wiederum weitere Begriffe verschwinden, verschärft die Situation. Die Mundart ist nun immer weiter in den Hintergrund gedrängt worden.
2.3.2 Der Generationenkonflikt
Im Zusammenhang mit dem Verlust einer Mundart oder Sprache generell beschreibt der Begriff „Generationenkonflikt“ den Prozess der Abgrenzung der Jugendlichen von ihren Eltern. Solch ein Abgrenzungsprozess findet sich zum Beispiel im Kleidungsstil wieder, bei dem junge Menschen bewusst andere Entscheidungen treffen als ältere. Aber nicht nur dort findet er statt, sondern auch besonders stark in der Sprache. Jede Generation von Jugendlichen erfindet oder erweitert eine gewisse Jugendsprache und etabliert neue Wörter in den Wortschatz. Bezogen auf Mundart ist dieser Vorgang jedoch hauptverantwortlich dafür, dass junge Leute den alten Mundarten wenig Beachtung schenken.
Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts war zum Beispiel in Anrath das Anrather Platt die Mundart, in der sich der größte Teil der ländlichen Bevölkerung verständigte. Hochdeutsch, so wie es heute gesprochen wird, war eine absolute Ausnahme da es eher der gehobenen, gebildeten Volksschicht vorbehalten war, ein ordentliches Hochdeutsch zu erlernen.
Im Laufe der Zeit begannen dann immer mehr junge Leute, ihr Glück in den Städten zu suchen; verließen deshalb ihre Familien auf dem Land, wo noch Mundart gesprochen wurde. Dadurch entstand mit der Zeit der Eindruck unter der jugendlichen Bevölkerung, Mundart sprächen lediglich die Alten vom Lande. Wer erfolgreich und chic sein wollte, lernte also, in modernem Hochdeutsch zu sprechen, um sich von der scheinbar altmodischen und ländlichen Mundart abzugrenzen.
Auch heute noch denken die meisten Menschen aus Anrath und Umgebung an ihre Anrather Großeltern, wenn sie Sprüche auf Platt hören. Die Mundart scheint bei der Jugend in Gedanken stets mit einer alten Generation verbunden zu sein, die nicht mehr mit dem heutigen Puls der Zeit Schritt halten kann. Dementsprechend bietet sie kaum Interessantes für die Zukunftsorientierten dieser „High-Tech-Generation“. Bezeichnet man den Generationenkonflikt also als harmlos, zum Beispiel im Bezug auf Mode (da viele Trends wiederkehren), so ist er doch einer der wichtigsten Gründe dafür, dass Mundarten wie das Anrather Platt die Jugend nicht mehr beschäftigen und somit langsam zurückgehen.
3. Argumentation für den Erhalt und Mundart fördernde Initiativen
3.1 Mundart als Teil regionaler Kultur
Zur grundsätzlichen Frage, ob niederrheinische Mundarten unbedingt zu erhalten sind, gibt es viele Meinungen. Auf der einen Seite sind es die, die meinen, eine Mundart wie das Anrather Platt sei nicht mehr modern und intellektuell, deshalb kein wichtiger Bestandteil mehr von regionaler Kultur. Dieselben Menschen argumentieren oft auch damit, dass selbst Schulen es nicht als nötig ansehen, den Kindern diese Themen im Unterricht näher zu bringen, denn es gäbe viel wichtigere kulturelle Aspekte in Deutschland, die erhalten werden müssen.
Auf der anderen Seite gibt es auch einige Niederrheiner, die ihre Mundart sehr wohl als Teil der Kultur ansehen. Gerade für die niederrheinische Bevölkerung vom Land, aus kleinen Dörfern oder Kleinstädten ist ihre eigene Mundart von sehr großer Bedeutung. In Anrath, wie auch in anderen rheinischen Gebieten, gehört der Karneval zum regionalen Brauchtum. Gerade der Karneval ist von Mundart, die oft mit humoristischen Texten in Verbindung gebracht wird, geprägt. Sich dann die lustigen Lieder oder Geschichten „op Platt“ wegzudenken, ist für viele unvorstellbar. Durch seine eigene Mundart unterscheidet sich ein Ort zum Beispiel von anderen Städten in der Nähe.
Würden das Anrather Platt und andere Mundarten verlorengehen, wäre offenbar ein Teil der Anrather Identität verschwunden. Man würde Anrath regelrecht seiner Stimme berauben.
3.2 Vor- und Nachteile in der Spracherziehung
Wächst ein Kind mit Anrather Platt als Muttersprache auf und lernt dann zusätzlich sehr früh Hochdeutsch zu sprechen, dann wächst es bilingual auf. Dies war besonders im frühen zwanzigsten Jahrhundert eine Herausforderung für die Heranwachsenden. Wenn sie in die Schule kamen, taten sich die Mundart sprechenden Schüler schwer, den Lehrer zu verstehen. Da aber von der Schule gefordert wurde, Hochdeutsch sprechen zu können, war es für diese Kinder nötig, im frühen Alter zweisprachig zu werden. Jugendlichen, die nicht das Gefühl für Sprachen besaßen, verzweifelten häufig an dieser Aufgabe und scheiterten. Dass diese Art von bilingualer Spracherziehung auch positive Auswirkungen haben kann, beweist das Fallbeispiel von Mundartdichter Hans Stienen. Wuchs er doch mit Mundart auf und sprach kein Hochdeutsch bis zum Eintritt in die Schule, ging es ihm wie vielen Jugendlichen. „Über Latein habe ich Hochdeutsch gelernt!“, dieses Zitat von ihm verdeutlicht, dass damals nicht genügend Förderung für Kinder aus „Mundart-Familien“ vorhanden war. Dies wiederum erklärt das häufige Scheitern am korrekten Erlernen des Hochdeutschen. Hans Stienen aber zog seinen Nutzen aus der Bilingualität und entwickelte ein großes Gefühl für Sprache und Lyrik, das es ihm ermöglichte, heute einer der aktivsten Mundartdichter in Anrath zu sein.
Ein Vorteil in der Spracherziehung könnte auch der sein, dass es vielen bilingual aufgewachsenen Menschen nach eigener Aussage leichter fällt, nach den zwei Grundsprachen weitere Sprachen zu erlernen. „Obwohl wissenschaftlich nicht belegt, so schienen die Interviewten der festen Überzeugung, dass Bilingualität den Erwerb anderer Sprachen vereinfacht.“ Diese Feststellung stammt aus einer italienischen Studie von Francesca Antonini und Bruno Moretti, für die bilingual aufgewachsene Menschen nach ihren Erfahrungen in der Spracherziehung befragt wurden. Die 2000 veröffentlichte Studie ist aber dementsprechend subjektiv. Gestützt wird diese These allerdings auch von den Erfahrungen, die der Leiter des Anrather Mundart-Stammtischs Friedrich Kluth bei einigen Besuchen einer Anrather Grundschule sammelte. So war es für ihn deutlich zu hören, dass „bilinguale Kinder sich beim Lesen der Texte in Mundart leichter taten“. Bilingualität, also auch das Aufwachsen mit Hochdeutsch und einer Mundart, kann dementsprechend förderlich für die Sprachentwicklung von Heranwachsenden sein.
3.3 Mundartförderung in Anrath
3.3.1 Die Leddschesweäver
Wenn man Anrath mit einem Vorwurf unrecht tun wollte, dann mit dem, es würde nichts gegen den Verlust seiner Mundart tun. Dass solch eine Behauptung unzutreffend ist, beweist das Paradebeispiel für Einsatz im Bereich Mundartförderung: der Anrather Mundartsingkreis „De Leddschesweäver“ im Bürgerverein Anrath. Mit seinem Namen bezieht sich der, 1998 erstmals aufgetretene, Singkreis darauf, dass Anrath ein altes Weberdorf ist. „Die Leddschesweäver“ sind also die „Liederweber“, die Texte in Mundart und entsprechenden Melodien zu eigenen Lieder „verweben“.
Entstanden ist dieser Singkreis, nachdem bei einem Mundartabend 1994 der Wunsch geäußert wurde, nicht nur Texte „op Platt“ vorzutragen, sondern das Anrather Platt auch mit Gesang zu zelebrieren. Als mit Dr. Christoph Carlhoff genügend Erfahrung und Kompetenz in Sachen Chorleitung dazu stießen, stand dem ersten Auftritt im Oktober 1998 beim damals fünften Mundartabend im Bürgerverein nichts mehr im Wege. Während Dr. Carlhoff seitdem die neuen Melodien für bereits bestehende Texte komponiert, sorgen in erster Linie Hans Stienen und Irmgard Hüpperling für den lyrischen Inhalt der Lieder. Außerdem werden bekannte Volkslieder ins Anrather Platt übertragen oder alte Mundartlieder gesungen.
Am 14.11.2008 konnten „Die Leddschesweäver“ ihr zehnjähriges Bestehen feiern und blickten auf zehn Jahre zurück, in denen sie stets mit ein paar Liedchen auf den Lippen einen großen Beitrag zum Mundarterhalt des Anrather Platt geleistet haben. Sei es bei einigen Mundartnachmittagen, im Karneval oder beim monatlichen Mundart-Stammtisch, in Anrath und Umgebung hat der Singkreis einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Aber bei einem Jahrzehnt soll es nicht bleiben, am 24. Mai 2009 wird am Frühjahrs-Mundartnachmittag teilgenommen und auch bei der Tausendjahrfeier des bescheidenen Ortes Anrath werden die „Leddschesweäver“ einige Lieder aus ihrem Repertoire zum Besten geben. Das über Jahre angesammelte Liedgut der „Leddschesweäver“ lässt sich im bereits erschienenen Liederbuch Lott os senge“ bestaunen. Es wurde mit Illustrationen von Friedrich Kluth, einem der im Mundartbereich engagierten Anrather und Mitglied des Singkreises, verziert und gehört zur Pflichtlektüre eines jeden heimatverbundenen Anrathers.
3.3.2 D’r Orjelskeäl
Über 20 Jahre war „D`r Orjelskeäl“ eine zentrale Figur in Anraths Karnevalszeit. „D`r Orjelskeäl“ ist eine Kunstfigur, die von Mundart-Tausendsassa Friedrich Kluth erschaffen und gespielt wurde, um den Saalkarneval in Anrath zu bereichern. Als sich 1979 der Anrather Max Paar aufmachte, eine Gruppe zusammenzufinden, die den Saalkarneval in Anrath wiederbeleben sollte, wurde er schnell fündig und diese Gruppe nannte sich dann die „Spouljonges“. Da es an finanziellen Mitteln mangelte, waren die Möglichkeiten begrenzt. Trotzdem gelang es, eigene Figuren zu kreieren und diese auf der Bühne der Josefs-halle zu präsentieren. Es gab zum Beispiel das „Invalidenbänkske“, das aus zwei alten Männern auf einer Bank bestand, die sich „op Platt‘ über das Anrather Dorfgeschehen unterhielten.
Erfolg beim karnevalistischen Publikum hatte auch der Drehorgelspieler „D`r Orjelskeäl“, den Friedrich Kluth spielte. Diese Figur trat in Frack und mit Zylinder auf, nutzte eine Drehorgel als Rednerpult und machte seine Späße über dass, was in Anrath gesellschaftlich oder politisch so passiert war. Während stets ein Stofftieraffe auf der Drehorgel saß, trug Friedrich Kluth seine humoristischen Erzählungen in Reimform und immer in Anrather Platt dem Publikum vor. Da „D`r Orjelskeäl“ großen Anklang fand, konnte die Figur fast 20 Jahre aufrechterhalten werden. Im Jahr 2001 war jedoch Schluss mit dem „Orjelskeäl“ auf der Bühne. Die „Spouljonges“ stellten ihre Aktivitäten ein. Seit 2001 führt Friedrich Kluth den „Orjelskeäl“ immer noch weiter. Heute allerdings nicht auf der Bühne, sondern durch ein eigenes Buch mit gesammelten Werken und einer CD, auf der in Eigenproduktion einige der Texte vertont sind.
3.3.3 Schulische Förderung
Vorreiter in der Funktion, der Jugend bzw. den Kindern die Mundart näher zu bringen, ist bis heute die Albert-Schweitzer-Grundschule in Anrath. Da die Direktorin Frau Mertens und auch andere Lehrer seit Jahren in Anrath leben, liegt der Bezug zur Mundart nahe. Deshalb taucht immer wieder Interesse am Anrather Platt als Unterrichtsthema auf. In Zusammenarbeit mit der Schulleitung hielt Herr Kluth bereits mehrere Male für ein oder zwei Stunden den Unterricht bei den wissbegierigen Grundschülern. Es wurden Kindern Texte vorgelesen und sie durften auch selber versuchen, Sätze in Mundart vorzulesen. Dies stellte sich manchmal auf Grund der noch nicht sehr ausgereiften Lesekünste als nicht so leicht heraus. Jedoch werden die Kinder dadurch spielerisch an das Thema herangeführt.
Für das nächste Jahr ist im Zuge der Tausendjahrfeier eine größere Veranstaltung in Planung: ein schulübergreifender Lesewettbewerb für 8-12-jährige Anrather, die dann vor einer fachkompetenten Jury vortragen werden und einen Preis gewinnen können. Außerdem plant Grundschullehrerin Ruth Fehrholz Mundartlesekurse mit Liedern und Gedichten für das 3. und 4. Schuljahr, in denen die Kinder zum Beispiel einige Martinslieder verstehen lernen, die sie vorher einfach sangen, ohne den Text zu verstehen.
4. Verliert das Niederrheingebiet tatsächlich seine Mundarten?
Zusammenfassung und Ausblick
Erinnert man sich also an die Vergangenheit des Anrather Platt, in der verschiedenste Bevölkerungsgruppen den Sprachschatz bereichert haben und betrachtet man dann die Gegenwart, in der die Mundart hinter anderen Spracheinflüssen in der deutschen Sprache zurückgeht, obwohl es einige Organisationen gibt, die sich ihren Erhalt als Ziel gesetzt haben; erst dann lassen sich Konsequenzen für die Zukunft vermuten.
Dass die Mundarten am Niederrhein über die Jahre stark zurückgegangen sind, lässt sich nicht mehr von der Hand weisen. Auch, dass das Interesse der Jugend am Erhalt der Mundarten momentan zu gering ist, um den Rückgang komplett zu stoppen ist ein trauriger Fakt. Zurzeit lässt sich zwar, bezogen auf die Fragestellung, noch nicht konkret behaupten, dass der Niederrhein tatsächlich seine Mundarten verliert, aber leider ist diese Tendenz zu befürchten. Die Mitglieder der Mundart erhaltenden Initiativen leiden unter fehlendem „Nachwuchs“, sodass der Erhalt der Gruppen gefährdet ist. Dementsprechend liegt es daran, die Jugend zu motivieren, das Erbe ihrer Vorfahren fortzuführen und so nicht nur für nationale, sondern auch für regionale Kulturpflege zu sorgen.
Ist die Jugend nicht zu motivieren, kann es in ein paar Jahrzehnten sein, dass es Anrather Platt nur noch in alten Büchern gibt. Dann heißt es: „E bedsche te laat es vüel te laat“, wie Dr. Ludwig Hügen es ausdrückt. („Ein bisschen zu spät ist viel zu spät.“)
Sollte es allerdings, zum Beispiel im Rahmen der Tausendjahrfeier, dazu kommen, dass mehr Schulen oder andere Einrichtungen auf die Mundart aufmerksam werden, dann könnten die Jugendlichen und Kinder gezielt zum Beispiel in Arbeitsgemeinschaften und Projekten an das Thema herangebracht werden. Und vielleicht gibt es dann später wieder „Spouljonges“ in Anrath, die „op Platt“ davon erzählen, wie das Anrather Platt vor seinem sicher scheinenden Untergang bewahrt wurde.